»Da ist er ja.«
»Wo?« Chelsea Barton reckte den Hals und versuchte, einen Blick auf Meister Alexander Monahan zu erhaschen.
»Beim Kamin«, antwortete ihre Freundin Sara.
Chelseas Blick wanderte in die entsprechende Richtung. Mit seinen blauen Jeans, dem langärmeligen T-Shirt im Westernstil, der schwarzen Lederweste und einer Bolo-Krawatte um den Hals entsprach er irgendwie überhaupt nicht Chelseas Bild von einem BDSM-Trainer. Seine Körpergröße von über einen Meter neunzig passte allerdings schon.
»Starr nicht so«, zischte Sara. »Das gehört sich nicht für eine gute Sub.«
Davon ließ Chelsea sich nicht beirren. Regeln waren eben was für andere Leute. Was sie anging – sie wusste immer genau, was sie wollte, und jagte dem auch gnadenlos hinterher. Und jetzt gerade wollte sie, dass Meister Alexander die perfekte Sub aus ihr machte – oder zumindest eine passable, damit niemand bemerkte, dass sie eigentlich gar nicht auf den ganzen Kram hier stand. Das war Schritt eins beim Projekt Schnapp-dir-Evan-C.
Meister Evan C war Rockmusiker, dessen Band gerade die Chartleiter hinaufkletterte. Mit der richtigen PR-Firma, und zwar ihrer, würde aus ihm noch ein nationaler Star werden – wenn sie ihn denn dazu bewegen könnte, einen Vertrag zu unterschreiben.
Sie hatte ihn vor sechs Monaten auf einer Party kennengelernt und sich total fangirlmäßig in ihn verschossen. In ihren Fantasien hatte er sie schon gefesselt und hart gevögelt. Sie brauchte ihn einfach, dringend. Und nicht nur als Kunden, sondern auch als Dom. Was wäre besser als Erfolg im Job und ein heißer Typ noch obendrauf?
Sara, die unerbetene Pragmatikerin, hatte Chelsea geraten, das Ganze zu vergessen. Meister Evan C stand auf gut trainierte Submissives, Frauen, die ihre eigenen Bedürfnisse den seinen perfekt unterordneten. Was wiederum, das erwähnte Sara ständig, überhaupt nicht Chelseas Art war. Sie war zielstrebig und ein Sturkopf, Persönlichkeitstyp A, jemand, der Antazidum zum Frühstück schluckte, ständig unter Schlaflosigkeit litt und seit über fünf Jahren keinen Urlaub mehr gemacht hatte. Dass Meister Evan C Frauen durchwechselte wie die Schals, die er immer zu seinen Konzerten trug, entzündete in Chelsea allerdings nur noch stärkeres Verlangen, diejenige zu sein, die ihn am Ende für sich gewann.
Hier kam Meister Alexander ins Spiel.
Laut Sara war er mal Trainer gewesen und genoss noch immer einen sehr guten Ruf. Er wahrte stets die emotionale Distanz zu seinen Subs und zählte zu den Besten. Davon, dass er nicht mehr im Geschäft war, ließ Chelsea sich nicht beirren.
»Er guckt her«, sagte Sara unnötigerweise.
»Und er ist endlich allein«, gab Chelsea zurück. Als sie gehört hatte, dass Sara und ihr Dom zu Meister Alexanders Geburtstagsfeier im Versteck eingeladen waren, der luxuriösen Gebirgsresidenz von Meister Damien, hatte Chelsea förmlich um eine Einladung gebettelt.
Erst hatte Sara abgelehnt. Sie war nicht scharf darauf gewesen, Teil weiterer Chelsea-Aktionen zu werden. Das konnte Chelsea ihrer Freundin zwar nicht verübeln – immer hin hatte ihre letzte Eskapade Sara eine Tracht Prügel von ihrem Dom eingebracht – aber Chelsea hatte sich eben auch nicht abwimmeln lassen. »Wenn du mich entschuldigen würdest …«
»Denk dran, du hast versprochen, meinen Namen nicht zu erwähnen. Du kennst mich nicht.«
Sie blickte Sara an. »Sind wir uns schon vorgestellt worden?«
»Luder«, sagte Sara.
»Lieb dich auch, meine Süße.« Chelsea straffte die Schultern und ging dann schnurstracks auf Meister Alexander zu.
Ein Paar hielt bei ihm an, um sich mit ihm zu unterhalten. Mit einem Seufzen blieb Chelsea stehen und schnappte sich bei einem vorbeigehenden Kellner ein Glas Wein. Chelsea konnte nicht umhin, den heißen Typen eine Sekunde zu beäugen. Er trug Fliege, aber kein Shirt und seine Anzughose saß im wahrsten Sinne des Wortes wie angegossen. Der Stoff akzentuierte sowohl seine muskulösen Oberschenkel als auch sein knackiges Hinterteil. Außerdem sah es so aus, als wäre Öl auf seiner Brust verrieben worden.
Er verbeugte sich und sagte: »Genießen Sie den Abend, Madam.«
Vielleicht würde sie den Cateringdienst für ihr nächstes Event anheuern. Das wäre auf jeden Fall mal ein Schocker, und würde ihr sehr willkommene Pressestimmen einbringen.
Statt an ihrem Getränk zu nippen, rollte sie das Glas zwischen ihren Handflächen hin und her und wartete. Irgendwann verabschiedete sich das Paar.
Sie stellte das Glas ab, straffte die Schultern und ging auf ihn zu. Verdammt, mit dem Cowboyhut sah er aus wie ein Gesetzloser.
Während sie die Distanz zwischen ihnen überwand, lehnte er sich nach hinten an den Kaminsims. Selbst aus ein paar Metern Entfernung strahlte er Kraft aus. Wäre sie nicht schon immer derart mutig gewesen, wäre sie stocksteif stehengeblieben, als ihr auffiel, wie er sie musterte. Sein Blick war konzentriert und zielgerichtet und wanderte von den Zehen ihrer Pumps bis hoch zu den glitzernden Klammern, die sie sich in ihr kurzes Haar gesteckt hatte.
Statt sie zu begrüßen, wartete er einfach. Das überraschte Chelsea nicht im Geringsten. Sie hatte genügend Recherche über ihn betrieben, und mit vorschnellen Urteilen brachte man es in der Finanzwelt nicht so weit wie er.
»Mr Monahan, ich bin Chelsea Barton.« Sie hielt Meister Alexander die Hand hin und schenkte ihm ihr blendendstes, zahnarztweißes Lächeln. Mit diesem einstudierten Ausdruck hatte sie noch jeden um den Finger gewickelt. »Ich wollte Ihnen sehr herzlich zum Geburtstag gratulieren.«
»Vielen Dank.« Endlich nahm er die Arme vom Sims und akzeptierte ihren Händedruck.
Sein Griff war warm und fest, beruhigend. Die Elektrizität tanzte nur so über Chelseas Wirbelsäule. Aus nächster Nähe war er umwerfend. Feine Linien zierten seine Augenwinkel und seine Lippen waren fest und voll. Ihr schoss der wahnsinnige Einfall durch den Kopf, ihn zu küssen, ehe sie ihn konsequent beiseiteschob. Sie hatte ein geschäftliches Angebot für ihn, nichts weiter.
Er ließ ihre Hand los. »Wer ist Ihre Begleitung?«
»Ich bin mit einer Freundin gekommen«, sagte sie vage und umging so eine direkte Antwort.
»Sind Sie immer derart ausweichend?«
»Sind Sie immer derart direkt?«
Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Sparen Sie uns beiden die Zeit, Ms Barton. Lassen wir’s mit dem Herumgeplänkel. Das hier ist mein Geburtstag, meine Party und ich hab die Gästeliste gegengelesen. Ich hab gesehen, wie Sie sich mit Sara unterhalten haben. Und ich hab mich allen Begleitungen vorstellen lassen, die ich nicht kannte, also nehme ich an, dass Sara Sie eingeladen hat. Und da Sara mir Sie nicht vorgestellt hat und so tut, als würde sie nicht bemerken, dass wir uns unterhalten, gehe ich davon aus, Sie wollten mich aus einem bestimmten Grund treffen.«
»Wie ich sehe, sind Sie sehr gefragt.«
»Ich steh nicht auf Spielchen. Sie haben dreißig Sekunden.«
Mit einem Mal wünschte Chelsea sich, sie hätte etwas von dem Wein intus. »Sie haben Recht«, gestand sie. Das hier lief überhaupt nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. »Ich wollte Sie kennenlernen. Aber es ist nicht so, wie Sie denken. Mir gehört ein Unternehmen, das You’re The Star heißt. Wir machen PR.«
»Monahan Capital hat bereits eine PR-Firma.«
»Die bessere Schadensbegrenzung beim Bartholomäusdeal hätte machen können, aber seitdem leisten sie bei der Kommunikation ganz gute Arbeit. Wenn Sie ein paar Veranstaltungen in der Nachbarschaft organisieren, zum Beispiel eine Spendenaktion, würde die positive Presse die restlichen Schlagzeilen von der ersten Seite der Suchmaschinen verdrängen. Aber darum geht’s nicht.« Da er ihr noch immer zuhörte, fuhr sie fort. »Ich habe über Sie recherchiert, weil ich will, dass Sie mich als Submissive trainieren.« Ihren Nachforschungen zufolge war er unerschütterlich, trotz seiner kürzlichen Misserfolge ein formidabler Geschäftsmann.
Chelsea war großgewachsen, besonders wenn sie ihre Fick-mich-Schuhe mit den Stacheln trug, doch er überragte sie noch um mehrere Zentimeter. Da sie es gewohnt war, Männern in die Augen zu schauen, während sie mit ihnen sprach, beunruhigte sie es ein wenig, zu ihm hochsehen zu müssen. Zum nahezu ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich klein, besiegbar. »Innerhalb der Szene erzählt man sich, Sie seien der Beste.«
»Das entsprach auch mal der Wahrheit.«
Aus seinem Mund klang das überhaupt nicht arrogant.
»Doch ich bin mir ziemlich sicher, Sie haben auch gehört, dass ich nicht mehr trainiere.«
Chelsea musste sich Mühe geben, die Beklemmung herunterzukämpfen, die in ihr emporsteigen wollte. Eine wichtige Lektion hatte sie über die Jahre gelernt – wenn sie nicht bekam, was sie wollte, galt es, ihren Charme spielen zu lassen. Sie legte ihm sanft die Hand auf den Oberarm. Als er darauf nicht reagierte, fuhr sie fort: »Ich bin mir sicher, ein so niveauvoller Mann wie Sie hat hohe Ansprüche und erwartet Exzellenz. Mir ist bewusst, dass das Ganze einen Preis hat. Ich werde Ihnen noch heute Nacht einen Check ausstellen, Mr Monahan. Nennen Sie mir Ihren Preis.«
Er sprang nicht auf ihre Taktik an. Ganz im Gegenteil: Seine Kieferpartie sah steinhart aus. »Ich stehe nicht zum Verkauf, Ms Barton.«
Sie verwarf ihre Taktik und ließ die Hand sinken. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Meister Evan C zusammen mit einer Frau die Treppen hinabstieg. Auch wenn sie die Räumlichkeiten nicht selbst gesehen hatte, wusste sie, dass Meister Damien einen Dungeon mit privaten Spielzimmern besaß. Sie hob ihr Kinn und schwor sich, nicht klein beizugeben. »Sie sind Geschäftsmann. Sie, mehr als jeder sonst, wissen, dass jeder seinen Preis hat.«
»Was ist denn Ihrer?«, konterte er. »Würden Sie Ihre Seele für Erfolg verkaufen?«
»Das ist unfair. Sie wissen rein gar nichts über mich.«
»Ich weiß, dass Sie sich nicht zu schade sind, Manipulation anzuwenden, um zu bekommen, was Sie wollen. War Machiavelli vielleicht Ihre Inspiration?«
Sie wich einen Schritt zurück.
»Wenn du dich weiter unterhalten willst, schlage ich vor, du antwortest wahrheitsgemäß.« Mit einem Mal war sein Tonfall so eisig wie ein Gletschersee und er hatte das Du abgelegt.
Chelsea hatte nicht damit gerechnet, dass sich das hier als derart schwierig erweisen würde. Sie hatte eigentlich gedacht, die meisten Doms würden total darauf stehen, wenn eine Sub sich ihnen derart zu Füßen warf. Das Geld, das sie ihm geboten hatte, hätte den Deal eigentlich besiegeln sollen. »Ich will, dass Evan C mein Unternehmen anheuert und mich zu seiner Sub macht.«
»Und du denkst, etwas Training reicht, um seine Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen?«
»Ja.«
»Du klingst überzeugt.«
Sie rief sich die Party, auf der sie sich kennengelernt hatten, wieder ins Gedächtnis. »Er hat mir mal einen Korb gegeben, weil ich zu neu war.« Der Anblick, wie er sich bei seinem Abgang den Schal über die Schulter geworfen hatte, hatte wehgetan.
»Was für Erfahrungen hast du denn schon gemacht?«, fragte Meister Alexander.
»Nicht viele«, gab sie widerwillig zu.
»Sei genau.«
»Wie viele Informationen wollen Sie denn?«
Er griff nach ihrem Kinn, welches sie dickköpfig gehoben hatte. Seine Finger waren stark und unnachgiebig, genau wie das Glitzern in seinen braunen Augen. »Ich sag dir schon, wenn ich genug gehört hab.«
Sie versuchte vergebens, ihr Zittern zu unterdrücken. Zum ersten Mal in ihrem Leben fragte sie sich, ob sie sich nicht zu viel vorgenommen hatte. Er hatte ihre List sofort durchschaut und ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das war ihr noch nie passiert. Er ließ von ihr ab.
Als einer der Kellner sich ihnen näherte, winkte Chelsea sich ein Glas Wein herbei. Sie würde die Stärkung brauchen. Andere Leute oder ihre Firma zu promoten, fiel ihr leicht. Doch ihre eigenen Geheimnisse zu enthüllen? Das erforderte Mut.
Sie nahm einen großen Schluck von ihrem Wein und klammerte sich an dessen Stiel fest, als handle es sich dabei um eine Rettungsleine. »Ich wusste nicht, dass ich auf Kink stehe, bis einer meiner Exfreunde mir mal die Augen verbunden hat.«
»Was an der Erfahrung hat dir denn gefallen?«
Ein paar Doms und mehrere Subs traten ins Wohnzimmer, und Chelsea sah sich nervös um.
»Augen auf mich«, wies er sie an.
Verdammt. Er war streng. Anscheinend bekam sie gerade eine Kostprobe, wie er als Trainer so wäre, und das versetzte sie ebenso sehr in Panik, wie es sie faszinierte.
»Oder du kannst dich jetzt verabschieden.«
Sie sah von dem Punkt auf, den sie tief in ihrem Weinglas fixiert hatte.
Ihm entging also wirklich absolut nichts.
»Mir hat gefallen, dass ich keine Ahnung hatte, was als Nächstes passiert. Mein Gehör schien geschärft. Und als er mich berührt hat, waren die Empfindungen viel intensiver.«
»Weiter.«
»Ein Typ hat mir manchmal auf den Hintern geschlagen, wenn ich an ihm vorbeigegangen bin.« Ihr war nicht bewusst gewesen, wie peinlich das hier werden würde. Die Unterhaltung hatte nichts Sexuelles an sich, die puren Fakten waren eher irgendwie klinisch. Allerdings lief sie trotzdem rot an. »Letztes Halloween war ich auf einer BDSM-Party. Verglichen hiermit…« Sie gestikulierte um sich. Das Zusammenkommen in Meister Damiens Haus war für Leute gedacht, die den Lifestyle lebten. »Nun, die meisten von uns haben nur mal den Zeh ins Wasser getaucht. Unsere Klamotten haben wir im Kostümladen gekauft, aber danach hat meine Begleitung mich zum ersten Mal gefesselt. Zwar nur an sein Bett, und dann hat er mir mit einer extra weichen Peitsche den Hintern versohlt. Aber mir hat’s gefallen. Na ja, immer hin genug, um weiter zu experimentieren. Ich wollte noch mehr ausprobieren, aber er hat gesagt, das Ganze sei nicht so sein Ding. Es hat ihm nicht gefallen mir wehzutun. Obwohl ich ihm versichert hab, dass es nicht wehgetan hat.«
»Du willst mir sagen, der durchschnittliche Vanillatyp hat keine Lust, einen Arsch wie diesen zu spanken?«
Sie blinzelte.
»Ich hab dich schon beim Reinkommen bemerkt, und du trägst diesen Rock, weil du gehofft hast, dass ich genau das tun würde.«
»Ja«, gestand sie. »Das hatte ich gehofft.« Das Modell war eine Nummer kleiner als die, die sie zu Meetings trug, und sie würde ihn nie in der Öffentlichkeit tragen. Das Material schmiegte sich derart eng an ihr Hinterteil, sich hinzusetzen, wäre wahrscheinlich keine besonders gute Idee.
»Dann zeig ihn mir doch.«
»Entschuldigen Sie bitte?«
»Zieh deinen Rock bis zur Hüfte hoch, dreh dich um, spreiz die Beine so weit, wie du kannst, und beug dich vornüber, bis du dir an die Knöchel fasst.«
Einen Moment bekam sie kaum Luft. Er sagte nichts weiter und sah vollkommen unbeeindruckt aus, als sei es ihm völlig egal, ob sie nun tat, was er sagte, oder eben nicht. Sie durchschaute das Ganze allerdings als Test.
Er hielt Chelsea die Hand hin, um ihr das Glas abzunehmen. Das war wahrscheinlich auch besser – mit einem Mal fürchtete sie, sie könnte es fallenlassen. Er schob es am Stiel über den Kaminsims und kippte sich dann mit dem Daumen den Cowboyhut nach hinten.
Chelsea zog ihren Rock hoch und war dankbar, dass sie einen Tanga trug. Sich einem Fremden zu entblößen, war etwas vollkommen anderes, als mit einem Mann zu spielen, mit dem sie gerade ausging.
Noch immer sagte Meister Alexander nichts. In diesem Moment begriff Chelsea, dass er ein Mann weniger Worte war und sich nicht wiederholte. Es kam kein Schmeicheln, kein Necken von ihm, kein: »Ach komm schon Chelsea, amüsier dich doch mal!« Dieser Mann hier war ein Dom, kein Spielzeug.
Sie drehte sich von ihm weg und folgte seinen restlichen Anweisungen. Mindestens sechzig endlose Sekunden lang sagte er rein gar nichts. Chelsea schlug das Herz bis zum Hals. Die Hinterseiten ihrer Schuhe schnitten ihr in die Knöchel, und das Blut rauschte ihr in den Kopf.
»Das ist also der Arsch, den dir niemand spanken wollte?«
»Ja«, antwortete sie. Dann fragte sie sich, wie sie ihn per Protokoll wohl adressieren sollte. Herr? Mister Monahan? Meister? Alex? Alexander? Er war einfach zum Du übergegangen.
Er streichelte beide ihrer Pobacken.
Langsam entspannte sie sich.
Noch immer schritten Leute durch den Raum und jemand blieb bei ihnen stehen, um sich mit ihm zu unterhalten. Eine Hand zog Alexander zurück, rieb sie mit seiner anderen jedoch weiter.
Chelsea versuchte aufzustehen, doch er kniff ihr in den Oberschenkel. Sie knirschte mit den Zähnen und musste sich zwingen, in Position zu verharren, statt sich aufzurichten, ihren Rock fallenzulassen und sich postwendend aus dem Staub zu machen.
Ihre Entschlossenheit trieb sie. Damals während dem College hatte sie zwei Jobs gehabt und ihr Ziel nie aus den Augen verloren, auch wenn sie mal erschöpft gewesen war. Und Meister Alexander musste sie unbedingt trainieren.
Sie packte ihre Knöchel fester. In ihren neunundzwanzig Jahren hatte Chelsea sich noch nie so erniedrigt gefühlt wie in diesem Moment. Für gewöhnlich rissen sich die Leute auf Partys darum, sich mit ihr zu unterhalten, zu brainstormen. Sie war noch nie wie Luft behandelt worden und gleichzeitig vornübergebeugt gewesen, während Gott und die Welt freie Sicht auf ihren Allerwertesten hatte.
Schließlich verabschiedete sich der Mann wieder. Meister Alexander ließ zwar eine Hand auf ihrem entblößten Hinterteil verweilen, sagte aber rein gar nichts. Chelsea hatte keinen blassen Schimmer, was sie tun sollte.
Plötzlich verpasste er ihr einen Schlag auf die linke Pobacke – und zwar einen harten. Chelsea schrie auf, allerdings eher aus Schock und nicht, weil es besonders doll wehgetan hatte. Sie wollte sich aufrichten, doch zwang sich selbst, in Position zu verbleiben.
»Du darfst deinen Rock wieder runterziehen und mich ansehen.«
Mit zittrigen Knien kam sie auf die Beine. In den letzten drei Minuten hatte sie mehr BDSM geschmeckt als in den letzten sechs Monaten. Sie war sich nicht sicher, ob es ihr gefiel.
»Erzähl mir, was dir durch den Kopf gegangen ist, als du vornübergebeugt warst«, sprach er, als sie sich wieder ihm zugewandt hatte.
»Ich war nervös und hab mich entblößt gefühlt.«
»Und wie hast du dich gefühlt, als ich dich geschlagen hab?«
»Ich war überrascht, glaub ich. Und mir hat nicht gefallen, wie unpersönlich die Berührung war. Es hätte einfach irgendjemand sein können.«
»War es schwierig, an Ort und Stelle zu bleiben?«
Sie griff nach ihrem Glas Wein und nahm einen tiefen Schluck. »Ja.«
»Erzähl mir warum.«
»Ich wusste nicht, dass das hier eine Entdeckungsreise in meine Psyche wird«, gab sie zurück.
»Jeder, der sich auf BDSM mit mir einlässt, offenbart alles von sich – Emotionen, Verstand, Gedankengänge. Die Wahl liegt bei dir«, sagte er. »Es steht dir frei, jederzeit zu gehen.«
Sie teilte ihre innersten Gedanken nur selten mit überhaupt irgendjemandem, nicht einmal mit ihren engsten Freunden. Doch vielleicht wäre es mit ihm einfacher, eben weil er ein Fremder war. »Ich bin es gewohnt, dass sich alles um mich dreht. Es gefällt mir nicht, außen vor gelassen zu werden. So ignoriert zu werden, hat mich ehrlich gesagt ziemlich angepisst.«
»Aber du bist in Position geblieben. Warum?«
»Weil ich will, dass du mich trainierst. Und ich wollte dir beweisen, dass ich mich eigne.«
»Sehr gut. Nebenbei, dein Arsch ist wie fürs Spanking gemacht. Mein Handabdruck ist darauf knallrot angelaufen.«
Sie fragte sich, ob die Farbe wohl zu der auf ihrem Gesicht passte.
»Eine Submissive zu sein, ist etwas völlig anderes, als gefesselt zu werden, eine Augenbinde zu tragen oder geschlagen zu werden. Was du gerade erlebt hast, ist ein Vorgeschmack darauf, was dich als Sub erwartet. Für gewöhnlich vergöttern und schätzen Doms ihre Subs. Wie du dir wahrscheinlich schon gedacht hast, handhaben es manche Paare wie du und deine Exfreunde, nur mit ein paar zusätzlichen Regeln und ein wenig regelmäßiger. Vielleicht benutzen sie sogar die Worte Dominant und Submissive. Für mich geht es bei der Unterwerfung um strenges Protokoll, mit Dienstbarkeit und einem Bewusstsein für präzise Körperbewegungen. Hast du irgendeine Ahnung, was du überhaupt gemeint hast, als du mich darum gebeten hast, dich zu trainieren?«
»Vielleicht nicht«, gab sie widerwillig zu. Sie zuckte die Schultern. »Was du mir gerade gezeigt hast … Ich hab eigentlich nicht gedacht, dass es so hardcore werden würde.«
»Sag mir, was du damit meinst.«
»Die ganze Sache mit der Unterwerfung …« Sie kaute sich auf der Unterlippe herum. Als es ihr dann auffiel, hörte sie sofort damit auf. Ihre Mutter lag ihr damit schon ihr ganzes Leben in den Ohren. »Ich glaube, ich hab gedacht, es geht hauptsächlich um Spanking und Fesselspiele.«
»Es ist eher eine persönliche Philosophie«, ließ er sie wissen. »Das, worüber du gerade redest, fällt unter die grobe Kategorie Bondage und Discipline. Aber es könnte auch nur etwas Kink in einer Beziehung sein, die sonst vanilla ist. Aber bei der Unterwerfung geht es darum, die Bedürfnisse eines anderen über die eigenen zu stellen. Und das tut man aus einem ehrlichen Verlangen heraus, zu dienen, und nicht, weil man es als Mittel zum Zweck sieht. Am meisten geht es bei alldem um gegenseitiges Vertrauen.«
Es kam ihr so vor, als hätte ihr gerade jemand auf die Finger gehauen.
»Ich schätze deine Ehrlichkeit«, sagte er. »Ich bin mir sicher, wir finden einen Mann, der dir den Hintern versohlt.«
Sie lachte gespielt. »Ich nehme nicht an, du hättest Interesse? Immer hin hast du heute Geburtstag. Irgendjemand sollte ein Spanking bekommen und ich schätze mal, du ziehst nicht den Hintern blank.«
»Exakt.«
Sie wünschte, er würde den Cowboyhut nach hinten kippen, um ihm besser in die Augen sehen zu können. »Du könntest es als Geburtstagsgeschenk betrachten«, schlug sie vor.
»Ich bin nicht allzu interessiert daran, dir den Arsch zu versohlen. Und das hat nichts mit deinem wirklich reizenden Hinterteil zu tun. Ich ziehe nur Subs vor, die ein Verlangen haben, zu dienen. In diesem Rahmen ist ein Spanking als Bestrafung in Ordnung oder als erotische Züchtigung.«
Es hatte ihr zwar nicht gefallen, ignoriert zu werden, ebenso wenig wie der schmerzhafte Zwick in ihren Oberschenkel, seiner unnachgiebigen Führung jedoch konnte sie etwas abgewinnen, und wie er sie so meisterhaft geschlagen hatte. Gebrannt hatte es, doch die Erinnerung daran machte sie irgendwie heiß. »Bitte überleg es dir noch mal«, sagte sie und hoffte, sie klang dabei nicht so verzweifelt, wie sie sich vorkam. »Ich kann alles tun, was ich mir in den Kopf setze. Ich werde dich nicht enttäuschen. Das verspreche ich.«
Genau in diesem Augenblick rief Meister Damien den Raum zur Aufmerksamkeit auf.
Sara hatte Chelsea erzählt, dass der Mann ein Filmstar hätte sein können. Er hatte langes, dunkles Haar, das in seinem Nacken zusammengebunden war, und Lederhosen akzentuierten seine muskulösen Schenkel. Ein kurzärmeliges schwarzes T-Shirt gab den Blick auf ein Tattoo frei, dessen Motiv Chelsea nicht ganz erkennen konnte.
Eine Reihe Doms beiderlei Geschlechts befehligten ihre Subs für die Ankündigung auf die Knie. Sie kamen den verbalen Anweisungen oder Handbewegungen ausnahmslos ohne Widerrede nach. Da verstand Chelsea, was er gerade versucht hatte, ihr zu sagen. Anscheinend rebellierte hier niemand so gegen diese Art von Erniedrigung, wie Chelsea es instinktiv getan hatte.
»Heute feiern wir Meister Alexanders Geburtstag«, sprach Meister Damien. Er nickte einer Kellnerin zu, und die Dame manövrierte daraufhin einen Rollwagen in das Wohnzimmer. Auf einem Blechkuchen brannten dutzende von Kerzen. Er stimmte Happy Birthday an – eine Schande, dass Meister Evan C gerade nicht im Raum war – und die restlichen Partygäste stimmten mit ein.
Unter dem Applaus aller Anwesenden blies Meister Alexander die Kerzen aus. Und weil Chelsea eins und eins zusammenzählte, dass er sich wohl nichts wünschen würde, übernahm sie das stattdessen.
»Chelsea wird euch helfen, den Kuchen zu servieren«, kündigte Meister Alexander plötzlich an.
Sie warf ihm einen finsteren Blick zu.
»Lass doch mal sehen, wie sehr du wirklich eine Sub sein willst«, sagte er und musterte sie.
Im Kuchenschneiden war sie leider schon immer eine absolute Niete gewesen. Die Stücke fielen ihr ständig um und am Ende hatte sie immer beide Hände voller Zuckerguss.
»Versuch’s doch mal mit einem Lächeln«, sagte er noch.
Die Frau, die den Kuchen hereingefahren hatte, hielt ihr ein riesiges Messer hin. Als Chelsea ihr den Perlmuttgriff abnahm, entfernte sie die Kerzen. Derselbe Mann, der ihr vorhin den Wein gereicht hatte, kam ihnen daraufhin mit einem Stapel Teller zu Hilfe.
Nachdem Chelsea ein paar halbwegs gerade Linien geschnitten hatte, nahm sie sich den Tortenheber und lud das Eckstück auf einen Teller.
»Bring das zu Meister Alexander«, wies die Frau sie an.
Richtig. Chelsea sollte Kellnerin für ihn spielen, weil er ja das Geburtstagskind war. Sie nahm sich einen Teller.
»Vergiss die Gabel nicht, und eine Serviette.«
Sie stolzierte mit dem Teller zu ihm herüber und versteckte ihr Zähnefletschen hinter einem Lächeln.
»Versuch’s doch noch mal«, sagte er.
»Wie bitte?«
»Sieh hin.« Er deutete in Richtung der Kellnerin.
Mit gesenktem Kopf trat sie auf Meister Damien zu. Sie hielt ihm den Teller hin, und als er ihn entgegennahm, reichte sie ihm Gabel und Serviette in einem Paket.
Chelsea zog die Brauen zusammen. Das alles war ihr vorher noch nie aufgefallen.
»Guck weiter hin.«
Die Frau sank in einen kurzen, kaum auszumachenden Knicks.
»Ernsthaft? Das erwartest du von mir?«
»Diese Art von Anweisungen würdest du als Teil deines Trainings erhalten.«
Mit vor Scham brennenden Wangen ging sie mit dem Teller zurück.
Jetzt, da Meister Damien und Alexander bewirtet worden waren, begann die Kellnerin, den restlichen Partygästen Kuchen zu servieren.
Ein Mann mit Glatze, anscheinend mediterraner Abstammung, stand mit vor der Brust verschränkten Armen in der Nähe des Tabletts. Er hatte einen massiven Oberkörper und Chelsea wäre nicht überrascht, würde er sich als Footballspieler herausstellen. Vielleicht verdiente er sich seinen Lebensunterhalt aber auch als Türsteher.
»Niemand achtet auf dich.«
»Verzeihen Sie bitte?«
»Fast jeder hier ist in Begleitung eines Subs oder schon seit Jahren mit dem Lifestyle vertraut. Hin und wieder wird jeder Sub in seinem Verhalten korrigiert. Das ist vollkommen normal.« Er lächelte Chelsea zu und beruhigte sie so ein wenig. »Ich bin Gregorio«, sagte er. »Ich arbeite hier mit Meister Damien und ich halte das Versteck instand. Es ist mein Job, dafür zu sorgen, dass alles reibungslos läuft.«
»Und Möchtegern-Subs zu beruhigen, gehört auch mit dazu?«
Sein silberner Ohrring glitzerte im Deckenlicht. »Meine Aufgaben sind äußerst vielfältig.«
»Ich bin nicht mal seine Sub. Ich will nur, dass er mich trainiert.«
»Also will er sehen, ob du die Mühe wert bist.«
»Er hat mich abgewiesen.«
»Ganz offensichtlich hast du sein Interesse geweckt. Du hast es immer hin fertiggebracht eine Einladung zu einer Privatparty zu bekommen, um ihn kennenzulernen. Schmeiß nicht einfach das Handtuch, außer du stellst fest, das hier ist alles nichts für dich. Dann lass es hinter dir und such dir jemanden, der auf dasselbe steht wie du.«
Sie nickte.
»Hast du vor, es mit dem Kuchen noch mal zu versuchen?«
Sie wog es ein paar Sekunden ab, seufzte schließlich leise und sagte: »Ja.«
»Bist du Rechtshänderin?«
»Ja.«
»In diesem Fall rate ich dir, den Teller in die linke Hand zu nehmen. Wickel die Serviette um die Gabel und trag die rechts. Halt den Blick gesenkt. Zum jetzigen Zeitpunkt wird er nicht von dir erwarten, dass du kniest. Konzentrier dich auf das Vergnügen, das du ihm mit deinem Dienst bereiten wirst. Biete ihm zuerst Gabel und Serviette an und dann nimm den Teller nahtlos in die rechte Hand, damit keine unbeholfene Pause entsteht. Das Wichtigste an Dienstbarkeit ist, im Vorhinein über die Abläufe nachzudenken und vorauszuplanen, aber auch noch Raum für Spontanität zu lassen, falls deinem Dom danach ist.«
»Was ist mit dieser komischen Verbeugung?«
»Irgendwas kriegst du schon hin, da bin ich mir sicher. Bonuspunkte, wenn du den Titel ›Herr‹ oder ›Meister‹ Alexander verwendest, wenn du ihn ansprichst.«
»Im Moment bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich meinen eigenen Namen noch kenne.«
»Deswegen musst du dich auf ihn konzentrieren, nicht auf dich. Zerdenk das Ganze nicht«, sagte er noch. »Versuch, dich ganz natürlich zu verhalten. Du wirst es vermasseln. Das tut jeder. Akzeptier einfach die Korrektur, ohne sie persönlich zu nehmen. Ich bin mir sicher, Meister Alexander hat dir schon geraten, dich einfach auf die Erfahrung einzulassen, deinen Dom zufriedenzustellen. Spring über deinen Schatten und erlaub mal jemand anderem, der Mittelpunkt deines Universums zu sein. Wenn du eine Submissive bist, wird es dich erfüllen, ihn glücklich zu machen. Das ist nichts für jedermann. Für die wenigsten, ehrlich gesagt.«
Ehe sie ihm danken konnte, verschwand er auch schon wieder in der Menge. Verstohlen studierte Chelsea eine andere Kellnerin. Den Doms wurde der Kuchen auf eine ganz bestimmte Art und Weise gereicht und den Subs wiederum etwas weniger förmlich. Manche Doms aßen selbst, aber lehnten das Stück für ihre Subs in deren Namen ab. Eine Kellnerin wurde gebeten, den Teller für eine Sub auf den Fußboden zu stellen. Und genau wie Gregorio vorhergesagt hatte, schien das niemand zu bemerken. Eine blonde Sub strich sich einfach das Haar aus dem Gesicht und begann zu essen. Die dazugehörige Dom platzierte den stacheligen Absatz eines Stiefels auf der Schulter des Mädchens, während sie selbst ihr Dessert verspeiste.
Alle hatten Chelsea dasselbe gesagt: Unterwerfung war nicht jedermanns Sache. Je mehr sie jetzt davon sah, desto stärker begann sie, ihren selbstgewählten Pfad infrage zu stellen. Andere Leute hielten das hier anscheinend für vollkommen normal, aber für sie war es das absolute Gegenteil.
Doch dann trat Meister Evan C in den Raum und elektrisierte ihn sofort mit seiner Energie. Die Frau, mit der er im Dungeon gewesen war, sah reizend aus. Ein Lächeln zierte ihre Lippen und getrocknete Tränenspuren ihre Wangen. Sie ging zum Tablett und wählte vorsichtig einen Teller für den Musiker aus. Wenn andere Vergnügen in alldem finden konnten, dann konnte Chelsea das ganz bestimmt auch.
Doppelt entschlossen begradigte sie ihre Körperhaltung und schritt zu Meister Alexander zurück, den Blick gen Boden gerichtet. Sie konzentrierte sich darauf, ihm zu dienen, und ignorierte die Stimme in ihrem Kopf, die dagegen protestierte. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Herr«, sagte sie, Gregorios Anweisungen folgend.
»Vielen Dank«, sagte er. »Allerdings habe ich meine Meinung bezüglich des Kuchens geändert.«
Sie verkniff sich den Fluch, der ihr beinahe über die Lippen gekommen wäre. »Selbstverständlich, Herr.«
»Ich hab entschieden, dass ich dir zur Feier des Tages lieber den Hintern versohle.«